Titelfoto: Boxen, Karl Mildenberger gegen Amos Joshua Johnson in der Berliner Deutschlandhalle 1964 | Heinrich von der Becke Bild Archiv im Sportmuseum Berlin (CC BY-NC-SA 3.0)

Sportmuseum Berlin – Picasso mit der Kamera – Der Pressefotograf Heinrich von der Becke (1913 -1997)

Thomas Willaschek im Museums Journal

Man schrieb das Jahr 1929, als sich beim Altmeister der Sportfotografie und Mitbegründer des Sportclubs Charlottenburg, Max Schirner, ein junger Mann um eine Lehrstelle bewarb. Vier Jahre zuvor hatte dem damals Zwölfjährigen ein Dresdner Erbonkel zur Konfirmation einen Fotoapparat, eine »Agfa Billy« Rollfilm-Faltkamera (36 RM), geschenkt.

Wenig später unternahm er damit erste fotografische Gehversuche. Es entstanden gelungene Familienaufnahmen und der Wunsch, das Fotografenhandwerk zu erlernen. Aller Anfang war jedoch schwer. Viele Jahre hielt sich in Kollegenkreisen der Berliner Sportfotografen hartnäckig eine Anekdote. Lehrmeister Schirner galt als ein besonders Strenger seines Faches. Nicht recht zufrieden mit der Arbeit seines Schützlinges, wies er ihn schließlich eines Tages an, er solle doch auf den Hof gehen und sein Motorrad putzen – das Fotografieren würde er niemals lernen.

Schirner irrte sich. In der Nachrichten-Metropole Berlin sollte der Name Heinrich von der Becke später viele Jahrzehnte Gewicht besitzen. Der Bildberichterstatter und Künstler mit der Schiebermütze, oft mit einer kleinen Trittleiter für einen höheren Aufnahmestandpunkt unterwegs, gehört zu den besten Fotografen, die in der Stadt gearbeitet haben.

Die erste von Becke noch in seiner Lehrzeit veröffentlichte Aufnahme für die Agentur „Sportbild Schirner“ gelang dem Fotografen nach eigenen Angaben mit mehr Glück als handwerklicher Kunst an einem verregneten Bußtag bei den Berliner Waldlauf-Meisterschaften im Grunewald. Für den Schirner-Verlag arbeitete er nach dem Ausbildungsende ein weiteres Jahr und wechselte 1933 zur Presse-Bild-Zentrale „Braemer & Güll“ in der Friedrichstraße in Berlin-Mitte.

1936 erregte Becke erstmals internationales Aufsehen als Sportfotograf bei den Olympischen Spielen in Berlin. Sein Foto vom Stabverlust der deutschen 4×100-m-Frauenstaffel während des letzten Wechsels wurde weltbekannt. Bei den Agenturen ebenso gefragt waren die Bilder von Jesse Owens, dem 4-fachen Olympiasieger in den leichtathletischen Disziplinen.

Nach den Spielen in Berlin ging Becke im Auftrag seiner Agentur ab September 1936 für mehrere Monate als Bildberichterstatter des Bürgerkrieges nach Spanien. Es folgte ab 1939 der Einsatz als Infanterist an unterschiedlichen Fronten des Zweiten Weltkriegs und für kurze Zeit als Fotodokumentarist in einer Propagandakompanie.

Noch vor Kriegsende entließ sich Becke selbst aus einem Lazarett in Polen und kehrte im April 1945 nach Berlin zurück. Zunächst verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Privat- und Passfotos für die Firma „Kindermann & Co.“. Am 18. Oktober 1945 meldete er sein Gewerbe als Pressefotograf an und richtete zusammen mit seiner Frau Theresia am Lietzenseeufer 3 in Berlin-Charlottenburg eigene Geschäftsräume mit Büro, Archiv und Labor ein. Fortan wurden für das Paar die Gerüche der Dunkelkammer zum festen Bestandteil des täglichen Lebens.

In den ersten Nachkriegsjahren entstanden überwiegend Arbeiten mit einer 9 x 12 Plattenkamera. Sie dokumentierten Zerstörung und Wiederaufbau in den vier Sektoren Berlins – Trümmerfrauen zwischen Schuttbergen, Waisenkinder auf den Straßen, Invaliden des Krieges, erste Neubauten. Ebenso gehörten Bildberichte aus dem näheren und ferneren Umland zu seinen Arbeiten. Während die Nachfrage von Privatkunden stetig abnahm, wuchs um 1950 der Markt für Fotografie innerhalb des expandierenden Verlags- und Pressewesens in Berlin und in ganz Deutschland. „Der Tagesspiegel“, „Berliner Morgenpost“, „Neues Deutschland“, „Tribüne“ oder „BZ“ sowie verschiedene Illustrierte wurden feste Abnehmer der Becke-Fotos.

In der Folgezeit konnte man den eher bescheiden wirkenden Bildjournalisten vor allem als Sportfotograf bei allen wichtigen Ereignissen in und außerhalb der Stadt – bei Wind und Wetter – antreffen. Ob bei den zahllosen internationalen, nationalen und Berliner Meisterschaften in den Stadien und Hallen oder bei volkssportlichen Wettkämpfen – Becke war immer mit mehreren Kameras vor Ort. Für die Sportfotografie nutzte er die Exakta Varex, eine einäugige Spiegelreflexkamera. Außerdem befanden sich eine Rolleicord (zweiäugige Spiegelreflexkamera) im Format 6 x 6 cm und später eine Rolleiflex Synchro-Compur im Gepäck.

Vor den Objektiven seiner Kameras standen über Jahrzehnte hinweg viele Stars und Prominente des Sports – Max Schmeling, Bubi Scholz, die Laufidole Paavo Nurmi und Emil Zatopek, „Sepp“ Herberger, Sonja Henie oder »Krücke«, der Pfeifer aus dem Sportpalast – aber auch unzählige „Sportlerinnen und Sportler von Nebenan“. Bis 1976 dokumentierte Becke die Ereignisse bei 15 Olympischen Sommer- und Winterspielen. Für das Deutsche Nationale Olympische Komitee und die Deutsche Olympische Gesellschaft blieb er langjährig tätig. Ebenso ab 1974 für „Sport in Berlin“, die monatlich erscheinende Publikation des Landessportbundes.
Der „Picasso mit der Kamera“, wie ihn wertschätzend Freunde und Vertreter der Presse nannten, blieb immer auf den Menschen fokussiert, hatte Aktive und Zuschauer, Sieger und Besiegte, Freude und Enttäuschung gleichermaßen im Blick. Seine Kreativität schöpfte er aus der Faszination des Augenblickes, immer bereit, im entscheidenden Moment einer Hundertstelsekunde den Verschluss seiner Kamera klicken zu lassen.

Mit gleicher Intensität, Leidenschaft, liebevoller Zuwendung und fotografischem Können dokumentierte Becke über den gesamten Zeitraum seines Schaffens hinweg die Entwicklung seiner Heimatstadt Berlin in vielen Facetten, prägende politische wie gesellschaftliche Ereignisse, städtebauliche Entwicklungen, Kultur und Kunst, Alltagsgeschehen in der Stadt. Herausragend sind unter anderem seine Aufnahmen vom 17. Juni 1953, vom Bau und Verlauf der Berliner Mauer ab 1961 und vom Besuch des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy in Westberlin 1963.

Stadtansichten, aufgenommen vom Berliner Funkturm im Juli 1995, gehören zu den letzten Arbeiten des Fotografen. Er starb nach kurzer, schwerer Krankheit im Juni 1997 in Berlin. Bereits im Februar des gleichen Jahres erwarb das Sportmuseum Berlin sein Bildarchiv mit allen Rechten zur Verwertung – ca. 65.000 s/w-Abzüge, 1,2 Millionen Negative, 2.000 Farbfilme, umfangreiche Filmlegenden und große Teile seiner Foto- und Laborausrüstung.

Seit Mai 2002 werden die Fotobestände mit Hilfe von ABM- und MAE-Projekten PC-gestützt erfasst und inhaltlich erschlossen. Unter Anwendung der Museums-Software FirstRumos sowie einer weiteren MS Access-Datenbank kann für die intensive Nutzung durch die Medien, Vereine, Verbände und Studenten aktuell auf über 180.000 Datensätze zugegriffen werden. Das Bildarchiv stellt in seiner Geschlossenheit ein einzigartiges Gedächtnis der regionalen, nationalen und internationalen Sport- und Zeitgeschichte der letzten siebzig Jahre dar.

Thomas Willaschek
Leiter der Sammlung Fotografie
Sportmuseum Berlin – Stiftung Stadtmuseum Berlin – Museums Journal, Nr. 1, Januar – März 2009

Die Ausstellung “Picasso mit der Kamera” ist noch bis 29. März 2009 im Sportmuseum Berlin – im Olympiapark Berlin, zu sehen.

Sportmuseum Berlin | Olympiapark Berlin | Hanns-Braun-Straße | 14053 Berlin
Tel. +49 (0) 30-90223-1392 oder +49 (0) 30-3058300 | Fax +49 (0) 30-3058340
Thomas.willaschek@sportmu-berlin.de


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