Titelfoto: Heinrich von der Becke Bild Archiv im Sportmuseum Berlin (CC BY-NC-SA 3.0)

Der Fotograf mit der Mütze

… und seine Kameras. Eine Abhandlung von Manfred Nippe.

Die im Sportmuseum Berlin befindliche „Rolleiflex 2,8 F“ ist eine Ikone der Fotografie. In den dreißiger Jahren revolutionierte die zweiäugige Kamera aus Braunschweig die Fotowelt, kein Berufsfotograf, Bildreporter oder Sportfotograf kam ohne sie aus. Helmut Newton machte damit seine Meisteraufnahmen – und Heinrich von der Becke aus Berlin, der „Picasso mit der Kamera“.

Porträt eines älteren Mannes mit alter Rolleiflex-Kamera um den Hals und Schiebermütze.
Foto: Gerhard Großkopf | Heinrich von der Becke mit der Rolleiflex 2,8 F | Bildarchiv Heinrich von der Becke im Sportmuseum Berlin (CC BY-NC-SA 3.0)

Das Objekt wiegt 1050 Gramm und hat die Maße 20,5 x 10,5 x 10 cm. Es ist für Rollfilm – schwarz/weiß und color – im Format 6 x 6 für 12 Aufnahmen geeignet. Man sieht das Motiv auf der im Schacht vorhandenen Mattscheibe, stellt scharf und löst aus. Die Ergebnisse liefert ein Synchro-Compur Verschluss von 1 – 1/500 Sekunde mit einem Aufnahmeobjektiv von Carl Zeiss Jena Tessar 1:3,5/75 mm.

Heinrich von der Becke benutzte die Rolleiflex seit 1949 in verschiedenen Ausführungen, die im Museum befindliche 2,8 F bis in die siebziger Jahre. Angefangen hatte der 1913 in Dresden geborene als 12-Jähriger mit einer Agfa Billy-Balgenkamera. Er ging in Berlin 1928 beim Altmeister der Sportfotografie Max Schirner in die Lehre und wurde von der Pike auf in die Geheimnisse des Fotohandwerks eingeweiht. Sein erstes in einer Zeitung veröffentlichtes Foto von der Waldlaufmeisterschaft im Grunewald machte er mit einer 9×12 Plattenkamera.

Nach dem Wechsel von Schirner zur Pressebildzentrale bekam er 1936 die Akkreditierung für die Olympischen Spiele 1936. Er fotografierte mit der großformatigen Contessa Nettel, die mit einer Wechselkassette für 12 Fotoplatten ausgestattet war und mit der über einen Sucher aus Draht das Motiv anvisiert wurde. Motorradkuriere brachten die Glasplatten zur Entwicklung und verteilten die auf 13 x 18 vergrößerten Papierabzüge im für alle Pressevertreter zugänglichen Bilder-Pool. Bei Einzelaufträgen wurden sie gleich zum Flughafen oder Bahnhof in Richtung der heimischen Zeitungen und Agenturen des In- und Auslandes gebracht.

Heinrich von der Becke gelangen gute Bilder, und so begann seine Karriere als Sportfotograf. Beim Stabverlust der deutschen Frauenstaffel und bei den Sprüngen von Jesse Owens hatte er im richtigen Moment auf den Auslöser gedrückt. Die Fotos wurden weltweit abgedruckt. Mit Jesse Owens schloss er Freundschaft. 1964 beim Owens-Besuch in Berlin stellte er das berühmte Foto zwischen Owens und Luz Long von 1936, im Gespräch nebeneinander liegend, nach und nahm es mit Longs Sohn Kay auf.

Nach den Spielen lieferte er Bildberichte vom Spanischen Bürgerkrieg, wurde 1939 Soldat und nach einer Verwundung bis 1945 einer Propaganda-Kompanie zugeteilt. Seine Fotos aus Spanien und von den Fronten des 2. Weltkrieges liegen im Bundesarchiv.

In der Trümmerlandschaft Berlins machte er sich 1945 selbstständig und baute mit seiner Frau Theresia eine Fotoagentur auf, die alle in den vier Sektoren der Stadt herausgegebenen Tageszeitungen versorgte. Seine Firma florierte und beschäftigte bald Angestellte für Labor, Archiv und Vertrieb. Er war nicht nur Sportfotograf, sondern Stadtreporter, dessen Fotos in West und Ost die Aufbauleistungen der Bevölkerung würdigten. Als der „Fotograf mit der Mütze“ war er stadtbekannt, oft auch mit einer Leiter unterwegs. Auftraggeber waren die großen Illustrierten, Time-Live, Tageszeitungen und Agenturen. Seine Berlin-Fotos, von der Blockade über den 17. Juni bis zum Mauerbau, vom Kalten Krieg, den Staatsbesuchen der Queen bis zu Kennedy, von Filmfestspielen und Rockkonzerten, dann vom Mauerfall sind einmalige politische Zeitdokumente.

Seine Sportfotos haben ihn berühmt gemacht. Er hat an 13 Olympischen Spielen teilgenommen, für Agenturen, Sportmagazine, Bildbände und Olympiabücher fotografiert. Viele Sportgrößen hat er dabei kennengelernt. Fotografiert hat er mit der Rolleiflex oder mit einer Kleinbildkamera mit Wechselobjektiven, der Exacta Varex. Seine Bilder wurden mit Preisen ausgezeichnet, zum Sportbild des Jahres gewählt und von getty-images vertrieben. Er liebte scharfe Bilder, Motiv, Blickwinkel, Licht und Schatten mussten stimmen. Fotografische Versuche in Richtung Unschärfe und Fotografik lehnte er ab. Ich war dabei, als er in der Jury des Fotowettbewerbs „Jugend turnt“ des Deutschen Turnfestes 1968 in Berlin mit seinen Kollegen Albrecht Gaeble und Erich Baumann senior lebhaft und kontrovers über „sehr gute und weniger gute Bilder“ diskutierte und deren Experimenten mit Skepsis begegnete. Sein spektakulärstes Foto schoss er 1976 bei einem 4-Tage-Radrennen in der Deutschlandhalle: Es zeigte den Olympiasieger Peter Vonhof, der den Bruch seines Vorderrades noch nicht bemerkt hatte und dann Behrendt und Colombo mit zu Boden riss. Das Foto wurde zusammen mit einem literarischen Essay in die „Bibliothek der Fotografie“ des Stern aufgenommen, er hatte den Olymp der Sportfotografie erreicht.

Heinrich von der Becke widmete seine Aufmerksamkeit neben dem Spitzensport gern dem Nachwuchs und den ganz Kleinen. Bei Turnfesten, Schülerturnieren und Jugendmeisterschaften, aber auch bei Trimm-Festivals und Familiensportfesten war er anzutreffen. So war er für die von mir redigierten Zeitungen und bei in Arbeit befindlichen Plakataktionen und Schulsportkalendern ein zuverlässiger Partner. Sein umfangreiches Archiv zum Kinder- und Jugendsport war ein absolutes Novum in der Welt der Sportfotografen. Trotz Ruhestandes griff er nach der Vereinigung Berlins 1990 noch einmal zur Kamera, so beim ersten gemeinsam von Ost und West veranstalteten Kinder- und Jugendsportfest im Olympiastadion. Bei einigen Aufnahmen hat er choreographisch nachgeholfen, die abgelichteten Gymnastikmädchen und ihre Fans waren selig.

Zum 75-Geburtstag im Europäischen Kulturjahr 1988 würdigte ihn eine Ausstellung im ‚Haus des Sports‘ an der Jesse-Owens-Allee. Die Sportjugend verlieh ihm die Zeus-Medaille, ihre höchste Auszeichnung. Zum 10. Todestag 2007 hat Ludwig, einer seiner drei Söhne, im Internet einhundert seiner Fotos aus 22 Sportarten zusammen mit Interviews veröffentlicht (siehe Literatur *). Im Lichthof des ‚Haus des Deutschen Sports‘ stellte das Sportmuseum zu diesem Anlass einen Querschnitt seiner Fotos aus.

Am 25. Juni 1997 ist Heinrich von der Becke im Alter von 85 Jahren gestorben. Ein bescheidener Mensch, guter Sportfreund – und ein ganz großer seiner Zunft. Seinen sportlichen Nachlass hat er wenige Monate vor seinem Tod an das Sportmuseum Berlin übergeben. 1,2 Millionen Negative, 65.000 Fotoabzüge und 2000 Farbfilme und Dias gehören zum „Bildarchiv Heinrich von der Becke“. Das Lebenswerk eines Sportfotografen und ein wahrer Schatz für das Sportmuseum im Olympiapark.

Manfred Nippe (Landessportbund Berlin)

Literatur

Nippe, M., Der Picasso mit der Kamera, in „Olympisches Feuer“, Ausgabe 2/2009, Seite 54 – 57, Frankfurt/Main.
Willaschek, T., Heinrich von der Becke, zu seinem 10. Todestag, in „Sport in Berlin“, Juni 2007.

* Diese Website wurde 2022 aus Anlass des 25. Todestages generalüberholt. Es ist jene Website, auf der Sie sich gerade befinden.


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