Titelfoto: Olaf Lawrenz (re) und Friedl Stracke an der Zielgeraden | Heinrich von der Becke Bild Archiv im Sportmuseum Berlin (CC BY-NC-SA 3.0)

Das Ereignis im Ereignis

Gedanken über das Sportfoto vom Protagonisten dieser Website

Heinrich von der Becke in der Zeitschrift “Bildjournalist” 02/1958

Drei junge Leute stehen auf dem Siegespodest eines Stadions und erwarten neben dem üblichen Händedruck die Siegestrophäe aus der Hand des Sportpräsidenten. Sie verbeugen sich – je nach Temperament und Charakter strahlend oder verlegen lächelnd – und winken den Beifall klatschenden Zuschauern zu: Ein tausendmal in Zeitungen, Zeitschriften, in Wochenschauen und im Fernsehen gezeigtes Bild, das ein anspruchsvoller Reporter nur mit Widerwillen festhält.

Muss dies überhaupt registriert werden? Geht es nicht ohne diese Bilder? Das frage ich mich jedes mal, wenn eine Schar von Bildreportern (darunter zu meinem Leidwesen auch ich) sich anschickt, diese oder eine ähnliche Situation festzuhalten. Die Erfahrung beweist: Solche Bilder werden verlangt. Das schließt aber nicht aus, dass der Leser sie heute nur noch registrierend und teilnahmslos hinnimmt. In einem großen Bericht sind sie allerdings oft unvermeidlich, als Zentralthema jedoch ebenso unerträglich wie die stereotypen Bilder vom Zieleinlauf.

Foto: Heinrich von der Becke | Copyright Sport­mu­se­um Berlin (CC BY-NC-SA 3.0)

Wichtiger als das Ergebnis ist der Kampf. Vom Sportberichter werden daher immer mehr Bilder von dramatischen Höhepunkten mit menschlichem Akzent verlangt, die keineswegs nur in der Entscheidungsphase liegen.

Ein Sportbericht muss mitreißen, er darf sich nicht auf die trockene Wiedergabe des Kampfverlaufes beschränken. Durch Milieu- und Stimmungsschilderung soll er im Leser das Gefühl des Dabeiseins erwecken.

Foto: Heinrich von der Becke | Copyright Sport­mu­se­um Berlin (CC BY-NC-SA 3.0)

Wir Sportberichter von heute sind stets auf der Suche nach dem Unvorhergesehenen, nach dem Ereignis im Ereignis. Das Bild eines Radfahrers, der in aussichtsreicher Position eine Panne hat und seinen Reifen flickt, interessiert jeden Redakteur mehr als die üblichen Bilder vom Ziel und der Siegerehrung, die ihm mit Sicherheit mehrfach angeboten werden.

Das Ereignis im Ereignis ist in erster Linie der Mensch selbst als Urheber ungezählter Vorgänge, die nicht im Sportprogramm stehen. Ein weinender Sieger, ein resignierender Verlierer, ein von Begeisterung ergriffener Zuschauer – sie geben das eigentliche Ereignis, den sportlichen Wettkampf, wesentlicher, verdichteter und damit allgemeinverständlicher wieder als das „Sportphoto”.

Heinrich von der Becke

Zu den drei Bildern:

Der Berliner Olaf Lawrenz, im schwarzen Dress, und sein Gegner Friedl Stracke, Barmen, stürmen die Zielgerade herunter. Sechs Meter hinter dem Ziel stehen die schussbereiten Bildreporter. Fast auf gleicher Höhe liegend, laufen die beiden Wettkämpfer ins Ziel, und mit letzter Kraft wirft sich Olaf Lawrenz nach vorn, um seinen Gegner um Brustbreite abzufangen. Bis hierher reicht seine Kraft, aber jetzt verliert er das Gleichgewicht und stürzt zu Boden. Die Kameraden helfen ihm auf, und als erster beglückwünscht ihn sein harter Gegner Stracke. Die Spannung des Siegers löst sich, es gibt ein packendes Bild: Der weinende Sieger neben dem glückstrahlenden Zweiten.

Die meisten Zeitungen brachten das Bild des zu Boden gestürzten Siegers, obwohl mir persönlich das Bild nach dem Kampf noch besser gefiel. Die Szene selbst ist aber wohl mit drei Bildern am besten geschildert.

Ein ganzes Jahr später bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Frankfurt machte man den Bildreportern Vorhaltungen über undiszipliniertes Verhalten im Innenraum des Stadions und am Ziel. Ein Sportfunktionär behauptete, in Hamburg hätten die Kollegen den Sturz Olaf Lawrenz im Ziel verursacht, weil sie den Auslauf versperrt hätten. Glücklicherweise war der Sieger von Hamburg selbst auf dem Platz, und die unsinnige Behauptung des Sportfunktionärs konnte gleich von ihm widerlegt werden.


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