Eröffnungsrede am 8. November 2008 im Lichthof des früheren “Haus des Deutschen Sports”. Von Manfred Nippe.
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr von der Becke, liebe Martina, lieber Gerd,
ich sehe viele altvertraute Fotos, mit denen ich in 50 Jahren Sportverwaltung und Ehrenamt aufgewachsen bin und die mich an Heinrich von der Becke erinnern. Seit dem Tod Heinrich von der Beckes vor 11 Jahren war diese Ausstellung ein Wunsch von uns allen, den Mitarbeitern des Sportmuseums und den Mitgliedern des Forums für Sportgeschichte als Förderverein des Museums. Im Internationalen Monat der Fotografie erfüllen wir uns diesen Wunsch selbst und danken allen, die mitgeholfen haben, den Sponsoren, insbesondere dem Team und dessen Eigeninitiative.
Als kleines Geschenk des Landessportbundes habe ich 50 v.d.Becke-Farbdias mitgebracht, die wir in den achtziger Jahren für Plakatserien und einen Schulsportkalender angekauft hatten und die nun zurückkommen sollen. Einen herzlichen Gruß unseres Präsidenten, Peter Hanisch, der auf Urlaub ist, möchte ich damit verbinden.
HvdB war Fotograf, Reporter, Künstler, Sportfreund. Siege, Niederlagen und Tragödien hielt er im Bild fest. Er gehörte zu den wenigen Fotojournalisten, die auch gern beim Kinder- und Jugendsport zur Kamera griffen, derartige Berichtsaufträge ohne Zögern annahmen, obwohl damit kaum Geld zu verdienen war. Der sportliche Elan des Nachwuchses begeisterte ihn.
Ich lernte ihn 1964 kennen als ich Fotos für die Festschrift zum Hundertjährigen meines Vereins, des TuS Neukölln 1865, suchte. Die Auswahl an Fotografen, die über den Profisport hinaus am Amateursport interessiert waren, war damals größer als heute. Auch gab es staatliche Berichterstatter, die für die 12 Bezirksbildstellen und die Landesbildstelle arbeiteten und natürlich auch bei Sportveranstaltungen fotografierten. Nach Abklappern aller Adressen, Besuchen bei Schirner, Wolfgang Albrecht und Bruno Scholz, mit dem ich in der Jugendzeitschrift blickpunkt zusammenarbeitete, hatte ich die ersten Fotos beieinander, wurde aber bei HvdB am Lietzenseeufer richtig fündig. Er hatte die gesuchten Fotos, vornehmlich von der Jugendleichtathletik, so vom Potsdam-Berlin-Lauf, dem Wilhelm-Leichum-Gedenksportfest und dem Asseburg-Memorial. Seitdem war der Kontakt mit ihm und seiner Frau über 30 Jahre nicht mehr abgebrochen.
Beim Deutschen Turnfest Berlin 1968 machte ich den Vorschlag, HvdB in die Jury des Fotowettbewerbs „Jugend turnt“ zu berufen, den ich zusammen mit meinem journalistischen Mentor Erwin Heinold und der Firma Kodak ausgeschrieben hatte. Heinrich von der Becke sagte zu, gemeinsam mit zwei bekannten Kollegen aus dem übrigen Bundesgebiet, Albrecht Gaebele und Erich Baumann senior, die Jury zu bilden. Heinrich v.d. Becke akzeptierte Fotos, die etwas über die spannenden Momente des Sports aussagten, aber formatfüllend scharf sein mussten. Seine Experimentierfreude hielt sich in Grenzen, obwohl er Reihenbilder mit der Robot schoss und dieses übereinander kopierte. Einige Motive aus dem Tischtennis und dem Turnen sind mir als Sportbilder des Jahres in Erinnerungen. Protest-Moderne, also unscharfe und verwischte, fast in Richtung Fotografik gehende Aufnahmen – wie bei Albrecht Gaebele im Turnen oder bei Erich Baumann im Motorrennsport – waren überhaupt nicht sein Ding. Ich erinnere mich sehr bewegter Fachdiskussionen am Rande unserer zwei Jurysitzungen. Jeder der drei Fotografen hatte sein eigenes Profil, v.d.Becke zog es eben vor, authentisch, spannend, künstlerisch zu sein. Er drückte auf die tausendstel Sekunde genau auf den Auslöser, zusätzlich hatte er aber auch ein choreografisches Händchen: ihm entging kein Schattenspiel, kein Hintergrund, vor dem er wenn nötig seine Objekte platzieren konnte, also Reporter und Regisseur zugleich, kein Ablichter.
Beruflich arbeiteten wir eng zusammen, meistens auf Zuruf. Sei es für Sport in Berlin, die LSB-Festschrift zum 25-Jährigen, bei Sportevents und Veranstaltungen, Tagungen, Empfängen und Ehrungen oder für Publikationen bis zu großformatigen Plakaten. Wenn er nicht gerade attraktive Großaufträge hatte oder auf Weltreisen war, war HvdB zuverlässig und schnell zur Stelle. Oft kam er direkt aus dem Olympia-Schwimmstadion ins benachbarte Haus des Sports, er gehörte dort zu den regelmäßigen Früh-Schwimmern. Kinder und Jugendliche im Sport – ich erwähnte es schon – waren ein bevorzugtes Motiv und so gehörte er mit Gründung des Schulwettbewerbs „Jugend trainiert für Olympia“ zu unseren Starfotografen. Kritik am überzogenen Hochleistungssport war von ihm zu hören, wenn irgendetwas im Sport ungesund war. Ich erinnere mich an Diskussionen über Drehwürfe im Hallenhandball genauso wie an die seinerzeitigen Auseinandersetzungen über zu frühes Kindertraining in den Ostblockstaaten. Er war allumfassend am Sport und auch an der Sportpolitik interessiert. Mitunter fiel es ihm schwer, sich von seinen Bildern zu trennen, stets fragend, wo sie und mit welcher Story erscheinen sollten. Er war mit seiner kleinen Firma gut im Geschäft, nicht übertrieben geschäftstüchtig, wie einige Kollegen der schreibenden Zunft mitunter kolportierten, die ihm vielleicht seinen Ruhm neideten. Er war kein Funktionär des Sportjournalistenverbandes, eher ein Einzelgänger, im wahrsten Sinne des Wortes selbst ständig unterwegs. An den Theken der Deutschlandhalle oder an der Bar der Sportpressefeste war er nicht zu finden, kein Freund also der damals bei einem Teil der Journalisten beliebten dritten Halbzeit. Doch in der Deutschlandhalle lief er zur Höchstform auf: Er schoss beim 6-Tage-Rennen sein Meisterfoto; der vom Sportler selbst noch nicht bemerkte Bruch des Vorderrades. Es wurde in die vom Stern herausgegebene, aufwändige Bibliothek der Fotografie aufgenommen. Für mich ist das Buch „Der Traum vom Sieg – Kampf und Kult in der Sportfotografie“ nach wie vor das schönste Sportbuch überhaupt.
Heinrich von der Becke machte sich nicht nur als Sportfotograf einen Namen. Das hing natürlich mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung unserer Stadt in der Nachkriegszeit zusammen: Er war einer der erfolgreichsten Berliner Stadtreporter und berichtete in seinen Fotos über den Wiederaufbau und die Blockade Berlins, den Kalten Krieg und Mauerbau, Großkundgebungen, Stadtfeste, Kennedybesuch und Studentenprotest, schließlich über die Deutsche Einheit. Mit VW, Leiter und Mütze war er eine stadtbekannte Erscheinung. Seine Fotos erschienen weltweit, von Time-Life über die deutschen Illustrierten bis zu den Tageszeitungen. Regelmäßig in der Berliner Morgenpost und im Tagesspiegel. Davor auch im Telegraf, dem Tag, dem Kurier, der nachtdepesche und dem Abend, die durch Bild und BZ irgendwann in Konkurrenz abgelöst wurden.
Ich erinnere mich an ein Kulturfestival auf dem Kurfürstendamm im Jahr 1977, das meine Frau mit unserer Tochter und einer Freundin besuchte. Die Dreijährige war müde und setzte sich auf den Bordstein, fragend, wer trägt mich jetzt nach Hause. Ein Fotograf mit Leiter zückte seine Kamera. Er war, was meine Frau vermutete, HvdB. Ich rief Frau v.d.Becke an, und teilte ihr „kleines Mädchen am Bordstein, Tag, Uhrzeit und Ort“ mit. Zwei Tage später brachte mir Heinrich von der Becke das Foto, strahlend, zufällig meine Tochter erwischt zu haben und mir einen Gefallen tun zu können.
Mit der Fertigstellung der Stadion-Terrassen für den Landessportbund und die Sportjugend im Jahr 1986 statteten wir die Hallen und Flure des Neubaus durchgängig mit v.d.Becke-Fotos aus. Sie waren unseren Besuchern und uns mehr als 20 Jahre treue und ständige Wegbegleiter. Anfang dieses Jahres wurden sie Dank einer Spende ersetzt: Die in die Jahre gekommenen Schwarz-weiß Fotos von Heinrich wurden durch neue von Jürgen in Farbe ersetzt. Jürgen Engler, einer der wenigen noch freiberuflichen Sportfotografen, ist damit auch im Haus des Sports in die Fußstapfen von Heinrich von der Becke getreten. Der Trend geht ja gerade in der Pressefotografie zu großen Agenturen und Teams, Selbständige ohne Bindung sind da eine Seltenheit. Wer heute schreibt, muss in der Regel auch gleich mit fotografieren. Das ist bedauerlich, geht damit doch die alte Tradition der Sportfotografen verloren. Das Internet tut ein Übriges, wenn tausende von digitalen Fotos jederzeit abrufbar sind. Copyright und Urheberschutz sind etwas für Abmahnvereine und clevere Anwälte, die Autoren haben wenig davon. Heinrich von der Becke hat den Fotoklau immer gegeißelt und mehrere Urheberschutz-Prozesse geführt, wir haben oft darüber diskutiert und er geriet dann so richtig in Rage. Er liebte seine Fotos wie seine Kinder und ließ sich keines wegnehmen.
Anlässlich seines 75. Geburtstages im Europäischen Kulturjahr Berlin 1988 ehrten wir ihn mit einer kleinen Ausstellung im Haus des Sports. Dazu gehörten auch seine Kameras aus langer Berufstätigkeit. Er war stolz, mit der Zeus-Plakette der Sportjugend ausgezeichnet zu werden. Ich freue mich, dass dieses Farbfoto von 1988 hier aushängt.
Rund um die deutsche Einheit war er trotz seines hohen Alters und erster Zipperlein rastlos unterwegs. Mehrere Bilderserien, darunter auch die zu den 1. Olympiatagen des Jugendsports im Olympiastadion, wurden fertig. Eine davon mit 5 Wettkampfgymnastinnen und ihren Reifen wurde choreografisch geschickt mit dem Schattenspiel der Olympischen Ringe in Szene gesetzt. Zehn Minuten Vorbereitung kostete das künstlerische Ergebnis. Alle Mädels wollten natürlich Abzüge haben.
Irgendwann hat er mir dann gesagt, dass er sich zur Ruhe setzen möchte. Er habe sich einen Computer angeschafft, um sein Lebenswerk zu ordnen. Er hat sein Archiv dann vollständig dem Sportmuseum überlassen. 1993 machte er mich noch mit einem früheren, drei Jahre älteren Kollegen aus der Vorkriegszeit bekannt, der gerade sein Archiv der Landesbildstelle zum Kauf angeboten hatte: Willy Huschke, vor 1945 Sportfotograf und Kriegsberichter wie von der Becke, nach dem Krieg ein bekannter Fotograf für Mode, Wirtschaft und Architektur. Willy Huschke wohnte in der Nähe des Olympiastadions und verkaufte uns seinen alten Glasplatten-Vergrößerer für unser Fotolabor, so etwas gab es vor 15 Jahren noch. Der alte Herr zeigte mir einige seiner Sportfotos aus den dreißiger Jahren und war voll des Lobes und der Erinnerung an seinen langjährigen berühmten Kollegen mit der Mütze. Nun leben beide nicht mehr. Ihre Nachlässe sind in Berlin geblieben: v.d.Becke hier im Sportmuseum, Huschke im Landesarchiv und mit dem Segment Mode im Stadtmuseum.
Soweit meine Erinnerungen an Heinrich von der Becke. In Würdigung seiner Persönlichkeit, des hier Gezeigten und Gehörten, möchte ich mich sehr herzlich für die heutige Veranstaltung bedanken – und das sie mir zugehört haben.
Manfred Nippe, Landessportbund Berlin
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